

Systematische Parodontaltherapie
(im Volksmund: "Parodontose-Behandlung")
Seit der Konsensus-Konferenz der führenden europäischen Parodontologischen Fachgesellschaften in Amsterdam 2018 (EuroPerio9) wird ein geändertes, mehr vom Krankheitsverlauf und der Schwere der Erkrankung, bzw. der Ausgangsituation abhängiges Behandlungsschema bevorzugt. Nach folgenden langjährigen Verhandlungen mit den Gesetzlichen Krankenkassen in Deutschland wird dieses Schema ab 01.07.2021 auch in den Zahnarztpraxen umgesetzt.
Die entscheidenden Änderungen gegenüber dem bisherigen Untersuchungs- und Behandlungssystem bestehen zum einen in einem neuen Einordnungssystem verschiedener Ursachen und Ausprägungen der Erkrankung des Zahnhalteapparates ("Parodont"), die bisherige Unterscheidung in "Chronische Parodontitis" und "Aggressive Parodontitis" werden ersetzt ? siehe (1).
Zum anderen resultiert aus diesem geänderten System auch ein leicht geänderter, um weitere Maßnahmen ergänzter Behandlungsablauf - siehe (2).
WICHTIG: Erstmalig erhalten alle gesetzlich Versicherten im Falle der Notwendigkeit einer systematischen Parodontitisbehandlung sowohl die - weiter wie bisher notwendige - Vorbehandlung durch die Krankenkassen bezahlt, als auch eine auf den Krankheitsschweregrad und Verlauf abgestimmte Nachbehandlung im Zeitraum von 2 Jahren nach erfolgter Behandlung. Dies bedeutet allerdings nicht, dass alle Maßnahmen nun kostenfrei sind, in bestimmten Fällen (z.B. Reinigung/Politur in Instruktionssitzung) ist eine Berechnung nach den privaten Gebührenordnungen für Zahnärzte (GOZ 2012), sowie Ärzte (GOÄ) möglich, bzw. nötig.
1. Erkrankung des Zahnhalteapparates (Parodontitis)
Durch weitergehende Untersuchungen und Forschungen ist in den letzten 10 Jahren ein anderes, besseres Verständnis der Abläufe entstanden, die zu einer Erkrankung des Zahnhalteapparates (Parodontitis, fälschlicherweise auch "Parodontose" genannt) führen.
Wurde früher ausschließlich das Vorhandensein bestimmter krankmachender Keime auf der Zahn- und Wurzeloberfläche der Zähne als bestimmender Faktor betrachtet, gibt es heutzutage ein differenzierteres Bild. Der auf den Zähnen aufgelagerte "Biofilm" (früher auch als "Plaque" bezeichnet) ist zunächst einmal nicht krankmachend, wenn seine Zusammensetzung der verschiedenen, in der Mundhöhle vorkommender Mikroorganismen/Bakterien in einer bestimmten, untereinander kommunizierenden Schichtung und Menge vorliegt und der Körper des Betroffenen eine gute Immunsabwehr besitzt. Dann spricht man von "Symbiose" oder auch physiologischer Ausbildung.
Krankhafte Veränderungen entstehen dann, wenn einzelne Mikroorganismen aus dieser Schichtung ausbrechen und/oder die Immunabwehr des Patienten rapide abnimmt.
Statt "Chronische P." und "Aggressive P." wird nun unterschieden in ein Parodontitis-Stadium I - IV (engl. "Staging"), ergänzt und weiter eingegrenzt durch eine Prognoseermittlung für den weiteren Krankheitsverlauf (engl. "Grading").
Wie auch im Menüpunkt Professionelle Zahnreinigung (PZR) / Professionelle mechanische Plaquereduktion (PMPR) dargestellt, ist eine unzureichende Mundhygiene Hauptursache einer übermäßigen Besiedelung der Zahnoberflächen mit Bakterien (Plaque). Diese Bakterien zerstören auf dem Weg von der sichtbaren Zahnoberfläche hin zur Wurzeloberfläche unterhalb des Zahnfleischsaumes sowohl den Zahnhalteapparat (Sharpey´scher Faserapparat) als auch den Knochen um die Zähne herum selbst. Die Bakterien sind zumeist über Jahre aktiv, kommen sehr gut ohne Sauerstoff aus. Ist an mehreren Stellen um einen Zahn herum zu wenig Knochen und Halteapparat vorhanden, wird der Zahn locker und muss entfernt werden, obwohl er selbst vielleicht noch gesund ist!


Weitere, die Krankheit und deren Verlauf bestimmende Einflüsse sind u.a. die Vorlage schwerer Allgemeinerkrankungen (z.B. Diabetes) und auch Nikotinkonsum.
2. Behandlungsablauf
a) Befunderhebung und Erstellen eines Parodontalbefundes
(früher: Vorbehandlung)
- Erhebung Parodontaler Screening-Index (PSI) (Anmerk.: alle 2 Jahre Leistung GKV)
- Befunderhebung u. Erstellen eines Parodontalstatus, inkl. Röntgendiagnostik
- Parodontologisches Aufklärungs- und Therapiegespräch (ATG)
- Patientenindividuelle Mundhygieneunterweisung (MHU), enthält:
- Erkennbarmachen der vorhandenen Beläge/Bakterien Aufzeigen der individuellen Problemstellen
- Demonstration verschiedener Mundhygienetechniken und -artikel
- Motivation zu besserer Zahnpflege durch Ermittlung verschiedener Meßwerte zu Beginn und zum Ende der Vorbehandlung
- Erläuterung ernährungsbedingter Fehlerquellen
Wichtig:In dieser Sitzung durchgeführte Reinigungs- und Politurmaßnahmen sind keine Leistungen der GKV und können/müssen nach den Gebührenordnungen für Zahnärzte (GOZ 2012) und Ärzte (GOÄ) berechnet und von/m Patienten/in selbst getragen werden.
b) Behandlung
(I) Antiinfektiöse Therapie "AIT"
- Entfernung aller oberflächlicher unter dem Zahnfleisch liegender Entzündungsherde / Beläge (unter lokaler Betäubung) >> AITa
- Einsatz moderner maschineller Verfahren, v.a. Ultraschall-Geräte, wie aus der Zahnsteinentfernung bekannt >> AITb
(II) Chirurgische Parodontitistherapie "CPT"
- Eröffnung und Reinigung einzelner Zahnfleischbereiche bei besonders tief reichenden Entzündungsstellen: CPTa >> einwurzelige Zähne, CPTb >> mehrwurzelige Zähne (unter lokaler Betäubung)
Wichtig:Die Behandlung wird vor Beginn bei der jeweiligen Krankenkasse beantragt und muss genehmigt werden.
c) Nachbehandlung/Reevaluation und Recall
- Kontrolle (Evaluation) des Heilungsverlaufes 3-6 Monate nach Therapie (AITa/b), dabei/danach innerhalb von 2 Jahren
-
Unterstützende Parodontaltherapie (UPT) 2-6x (Schweregrad-abhängig)
- Mundhygienekontrolle (UPTa/b)
- Supragingivale und gingivale Reinigung aller Zähne von Biofilm u. Belägen (UPTc, vergleichbar mit PZR=Professioneller Zahnreinigung)
- Messung Sondierungstiefen u. Sondierungsblutung UPTc (nur bei Erkrankungs-Grad B/C)
- Bei Taschentiefen >>= 4mm tiefe Reinigung unterhalb des Zahnfleischsaumes (UPTe/f), ggf. mit örtlicher Betäubung
Recall (regelmäßige Einladung zur Wiedervorstellung)
Nach allen vorangegangen Therapieschritten kann ist nach Ablauf von 2 Jahren weiterhin eine spezifisch angepasste Unterstützende Parodontitistherapie (UPTa-g), siehe oben, erforderlich.
Wichtig:Diese Behandlungsnotwendigkeit ist wissenschaftlich gesehen (vergl. Leitlinien/EuroPerio9) unbestritten, zur Zeit jedoch keine Leistung im Rahmen der Gesetzlichen Krankenversicherungen. Dementsprechend sind die hierfür anfallenden Kosten dann rein privat von dem/der Patienten/in selbst zu tragen (Gebührenordnung für Zahnärzte GOZ 2012). Es bleibt abzuwarten, wie nach dem ersten 2-Jahresverlauf im Jahr 2023 die Verhandlungen über weitere Kostenübernahmen seitens der Gesetzlichen Krankenversicherungen aussehen. Im Übrigen ist zu erwähnen, dass die private Gebührenordnung für Zahnärzte 2012 in diesem Bereich überhaupt nicht angepasst wurde, viele der oben erwähnten Leistungen so nicht aufgeführt sind, sodass mit sogenannten Analog-Positionen gerechnet werden muss. Hierüber erstellt der Zahnarzt/die Zahnärztin vorher schriftlich einen Heil- und Kostenplan (HKP), sodass keine Zweifel über die anfallenden Kosten bestehen.
Die betroffenen Patienten werden in regelmäßigen Abständen zu einer speziellen Nachuntersuchung eingeladen (i. d. R. alle 6 Monate).
Dies wird an den medizinischen Hochschulen schon seit vielen Jahren mit großem Erfolg praktiziert und ist auch in der einzelnen Praxis inzwischen nicht mehr wegzudenken!
Quellen: zm-Online, KZVWL, BZÄK